In den Auen der Umer führt eine vielbenutzte Reisestraße nahe am Fluss entlang. Diese Straße folgt den Biegungen des Flusses und schlängelt sich so durch Wiesen, lichte Wälder und sorgsam bestellte Weizenfelder. Ausflugsboote segeln träge den Fluss herunter und legen gelegentlich an den vielen Stegen an, die sich am Flussufer finden, um eines der vielen Gasthäuser zu besuchen, die zwischen Fluss und Straße liegen.
Eines dieser Gasthäuser war das Drei Linden, das auf einer Blumenwiese direkt am Flussufer stand. Das Haus selbst war aus Fachwerk erbaut und eine Malerei von den besagten drei Linden zierte die Frontseite. Auf der rechten Seite des Hauses befand sich eine Laube, die von Weinranken überwuchert war. Fein gedrechselte Möbel standen in der Laube und luden zum niedersetzten und entspannen ein.
Der Wirt der Drei Linden war ein gutaussehender und überaus diskreter Mann namens Eman Ersa. Er war gerade dabei, den Weg von der Straße in die Laube zu fegen, als eine Kutsche anhielt und der erste Gast des Tages die Laube betrat. Pflichtbeflissen verbeugte sich Eman und führte die Dame an einen Tisch im hinteren Teil der Laube, von dem aus man direkt auf den Fluss blickte. Die Dame trug das Ornat einer Zauberin und verlangte von seinem besten Wein. Eman machte einen Kratzfuß, bevor er ins Innere des Gasthauses trat, um die Bestellung zu erfüllen. Er stieg höchst selbst in den Weinkeller hinunter und wählte eine Flasche aus. Blauer Sougertaler, Jahrgang 1217. Das Geburtsjahr des Kronprinzen war ein guter Jahrgang, dachte er, als er die Flasche öffnete und etwas von dem rubinroten Wein in eine Karaffe goss, damit er atmen konnte. Der wird der Dame sicher munden.
Er wählte noch ein passendes Kristallglas dazu, dann stieg er wieder nach oben, um den Wein zu servieren. Als er wieder nach draußen trat, hatte sich der erste Dame eine zweite im gleichen Ornat hinzugesellt. Er verbeugte sich tief und servierte den Wein.
„Noch ein Glas, Wirt,“ verlangte die Zweite. Eman kratzfusste wieder und beeilte sich, ein Glas Glas für sie zu holen.
„Wünschen die Damen auch einen Imbiss? Wir haben ganz frische Saiblinge, heute Morgen gefangen.“
„Nein, danke, lasst uns allein,“ sagte die Erste, als sie den Wein probierte.
„Sorgt dafür, dass wir nicht gestört werden,“ sagte die Zweite.
„Sehr wohl,“ sagte Eman und zog sich zurück. Es interessierte ihn nicht, welche wichtigen Dinge die Damen wohl zu besprechen hätten. In seiner Position konnte zu viel Wissen schädlich sein.
***
Die beiden Zauberinnen nippten an ihrem Wein und schauten auf den Fluss hinaus. Ein Boot mit bunten Fähnchen am Mast zog langsam an ihnen vorbei.
„Ein hübsches Gasthaus,“ sagte die Erste schließlich. „Hast du gut ausgewählt.“
„Danke, Nerin. Der Wein ist auch nicht schlecht. Sie nippte an ihrem Glas.
Nerin lächelte. „Wie ist es dir ergangen? Wo warst du doch gleich? Garsalon?“
„Gadha. Es war gut. Heiß und staubig, aber die Bibliothek ist ausgezeichnet ausgestattet und der Bibliothekar ist süß.“
„Ich sehe du hast dich kein bisschen verändert. Nicht mal in der Schule waren die Burschen sicher vor dir, Analin.“ Befriedigt stellte sie fest, wie Analin das Lächeln einfror, doch die andere fasste sich schnell wieder.
„Eifersüchtig?“ fragte sie.
„Ach was, kein Stück. Qualität über Quantität, sage ich immer.“
„Nichts hat auch keine Qualität,“ schoß Analin zurück.
Nerin biss fast in ihr Weinglas. „Wenigstens habe ich mich auf meine Studien konzentriert,“ presste sie heraus.
„Davon bist du auch nicht besser geworden als ich.“
„Trotzdem bin ich zur Gildenmeisterin berufen worden, nicht du.“
„Sei dir da mal nicht so sicher. Die Position wird erst fix vergeben, wenn wir dort vorsprechen und ICH werde sie erhalten, nicht du,“ erklärte Analin.
„Die Gilde verlangt ein makelloses Betragen von jedem Kandidaten, da werden sie wohl kaum dich einladen.“ Nerin griff nach der Karaffe, um mehr Wein einzuschenken und um das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Diese Dreistigkeit!
Analin hielt ihr das Glas hin und lächelnd schenkte Nerin nach, während sie sich vorstellte, wie sie Analin die Karaffe auf dem Kopf zerschlug. Aber das wäre nicht angebracht für eine Zauberin ihrer Position, ganz und gar nicht angebracht.
„Lass uns nicht streiten, liebe Freundin,“ wechselte sie das Thema. „Willst du wirklich dieses Gewand tragen, wenn du dich als Kandidatin bei der Gilde vorstellst?“
„Besser als dein Fetzen ist es allemal.“
„Natürlich trage ich meine gute Kleidung nicht für ein beliebiges Treffen mitten im Nirgendwo,“ konterte Nerin.
Analin kippte den Rest ihres Weins hinunter und fing an zu husten und nach Luft zu schnappen.
„Achte etwas besser auf das, was du runterschluckst, liebe Freundin. Wenn du etwas Falsches erwischst, kann das sehr ungesund für dich sein.“
Nerin trank gemütlich ihr Glas aus, während Analin immer heftiger nach Luft rang und merklich blasser wurde.
„Hättest du nur auf mich gehört.“
Inzwischen hustete Analin Blut und griff kraftlos nach Nerin. Die rückte ein Stückchen zur Seite und rettete die Karaffe, bevor Analin sie in ihrem Todeskampf vom Tisch stoßen konnte.
Nerin sah unbewegt zu, wie die andere am Boden röchelnd ihre letzten Atemzüge tat. Dann stand sie auf und drückte dem Wirt auf dem Weg nach draußen einen gut gefüllten Beutel in die Hand.
„Tut mir leid,“ flötete sie. Dann bestieg sie ihre Kutsche, um zu ihrer neuen Position als Gildenmeisterin aufzubrechen. Sie war bereits auf halben Weg nach Mitka, als die Schmerzen begannen.