Ich hab heute tatsächlich noch einmal alles über den Haufen geworfen und neu angefangen, weil ich nicht recht zufrieden war mit dem, was ich bisher hatte und es auch nicht mehr ganz hätte angemessen zu Ende schreiben können. Daher nun diese Version der Geschichte, die ich nicht leider nicht einmal mehr Korrektur lesen konnte, aber besser als nichts.
Im Reich des Nebelkönigs
Zwischen dem Königreich Ladorien und den Mooren Erdeins liegen dunkle, nebelverhangene Wälder, die von beiden Völkern seit Urzeiten gemieden werden. In ihnen, so erzählt man sich, lebt ein Elbenvolk. Die Elben dieses Volkes blicken jedoch nicht wie ihre vimearischen Vettern auf die Menschen hinab wie auf Kinder, die mit strenger Hand geführt werden müssen. Die Elben jener Wälder hassen die Menschen und die Menschen waren lange klug genug, den Schleier des Nebels nicht zu durchdringen. Doch das Wissen über das Zwielichtvolk wurde im Laufe der Jahrhunderte zu Legenden, zu Sagen und zu Märchen, die man nur noch den Kindern erzählte, aber selbst nicht glaubte.
So kam es denn, dass unter der Herrschaft König Azolinors die Ladorier zwar noch nicht gänzlich vergessen hatte, was man sich über die Elben und ihren düsteren König erzählte, ihm aber nicht mehr Beachtung schenkten als Gerede über arglistige Kobolde, welche die Milch des Nachts sauer machen, weil man ihnen keine Gaben bringt. Azolinor war ein König, der danach strebte, mehr zu beherrschen als nur die Länder, die seine Väter ihm vererbten. Er begehrte die Herrschaft über Erdein und so beschloss er, danach zu greifen. Schon in den vergangenen Jahrhunderten hatte es immer wieder Reibereien zwischen beiden Völkern gegeben und die Kriegszüge der Ladorier hatten in jenen vergangenen Tagen immer im Süden an den Wäldern vorbeigeführt, wobei es nicht selten geschah, dass sie von den Reitern Nemeriens überfallen wurden, oder diese zumindest die Erdeiner vorwarnten, mit denen sie oft im Bunde standen. Auch dieses Mal schickte Azolinor ein großes Heer den südlichen Weg entlang, doch sandte er auch seinen größten Heerführer, Erelor von Drasvena, aus, durch die Elbenwälder zu marschieren, um die Erdeiner überraschend direkt ins Herz zu treffen.[/style]
Erelor war ein tapferer Mann. Unerschrocken und stolz über alle Maßen er konnte nur über die Bedenken, die einige seiner Soldaten hatten, lachen. Auf seinem Schlachtross Menakas ritt er ohne zu zögern voran in den Nebel, der die dunklen Fichten umgab. Sie mussten sich nicht durch das Unterholz schlagen, denn seit den ältesten Tagen führte eine Straße durch jenen Wald, von der es hieß, sie Ende weit im Westen an den Toren der Knochenstadt Loranad. Diese Straße war von so geschickten Händen errichtet worden, dass sie, obwohl kein Mensch sich je um ihren Erhalt gekümmert hatte, immer noch durchaus passabel und besser als manch ein Weg innerhalb Ladoriens war, der öfter beschritten wurde. Der Weg war grade und ohne Verästelungen, die Fragen aufwarfen, wohin man gehen müsste und so kam das Heer gut voran, ehe es bei Anbruch der Dämmerung sein Lager aufschlug, wobei ein gewaltiger Schwarm Krähen sie beobachtete.
In jener Nacht wurden die Soldaten von beunruhigenden Träumen heimgesucht und jene, welche die Augen nicht schließen und keinen Schlaf finden konnten, glaubten, Gesang im Nebel zu hören. Am nächsten Morgen waren gar welche von ihnen verschwunden und ihre Kameraden sagten, sie müssten den Stimmen gefolgt sein. Erelor ließ die Männer, die davon berichteten, auspeitschen und einige von ihnen hängen, da sie die Fahnenflucht zugelassen hatten. Er schickte jedoch keine Soldaten aus, um in den Wäldern nach den Verrätern zu suchen: Sollten sie in ihre Heimat zurückkehren, so würde sie dort nur der Galgen erwarten.
Der Weg war weiterhin klar und in der nächsten Nacht behaupteten zwar immer noch einige Soldaten, Gesänge gehört zu haben, doch hatten Erelors Maßnahmen Wirkung gezeigt und am folgenden Morgen waren sie noch immer vollzählig. Dennoch bemerkte Erelor, dass die Stimmung in seinem Heer nach der Bestrafung schlecht war und die nächtlichen Geräusche zum Unmut nur noch beitrugen. So empfand er es geradezu als Glücksfall, als Späher ihm davon berichteten, eine kleine Siedlung entdeckt zu haben. Wer auch immer hier wohnte musste wilder sein als die Erdeiner und Erelor fasste nach einer Unterredung mit seinen Hauptmännern den Beschluss, dass es für die Moral der Truppen gut wäre, einen kleinen Sieg feiern zu können. So befahl er denn den Angriff auf das Dorf.
Der Kampf dauerte nicht lang, auch, wenn sich gezeigt hatte, dass es sich keineswegs um wilde Menschen handelte, sondern tatsächlich um Elben, wie es die Geschichten erzählten. Einige der Männer waren beunruhigt, dass die Legenden wahr zu sein schienen, doch sagte Erelor ihnen, dass jede Erzählung einen wahren Kern hätte. Der wahre Kern war, dass es hier tatsächlich Elben gab, doch hätte sich gezeigt, dass es sich bei ihnen ganz offensichtlich nicht um die großen Krieger und Magier der Sagen handelte, wenngleich sie durchaus erbittert gekämpft hatten. Dennoch hatte sich gezeigt, dass sie keine völlig armen Einsiedler waren, wie es bei Menschen, die so tief im Wald lebten, der Fall gewesen wäre. Ihre Häuser waren so beschaffen, dass Erelor sich vorstellen konnte, dass Unsterbliche ihrer nicht überdrüssig werden würden, und ihre Keller, Dachböden und Speisekammern waren gefüllt mit Speis und Trank und manch schönen Schätzen, welche in die Taschen der Soldaten wanderten. Die Nacht verbrachten die Soldaten im Dorf, nachdem sie die Gefallenen verbrannt hatten und die Stimmung war ausgelassen, bis es zu Streitigkeiten über einige der Elbenschätze kam. Der starke Wein des Zwielichtvolkes tat seinen Teil und ließ die Männer aufbrausender sein, als es von solchen Soldaten ohnehin zu erwarten war, und so verwunderte es kaum, dass Klingen gezogen wurden und das eine zum anderen kam. Erelor blieb wieder nichts anderes, als diejenigen hinrichten zu lassen, die aufgrund ihrer Habgier die eigenen Kameraden verletzt oder gar getötet hatten. Schlimmer jedoch, als durch diesen Vorfall mehr Männer verloren zu haben als im Kampf selbst, war für Erelor, Vetros verloren zu haben. Der Hauptmann war seit Jahren Erelors rechte Hand gewesen, dem er sein Leben anvertraut hätte und der alle seine Befehle immer zu seiner vollsten Zufriedenheit ausgeführt hatte, ohne jedoch darauf zu verzichten, selbst nachzudenken.
Es war nicht leicht, einen Ersatz für Vetros zu finden und als er schließlich mit Garbor einen seiner Hauptmänner ausgewählt hatte, war es nur allzu offensichtlich, dass die anderen mit seiner Entscheidung nicht zufrieden waren und sich selbst lieber an Garbors Platz gesehen hätten. Erelor ließ sich davon jedoch nicht beirren. Er würde es nicht jedem recht machen können und am Ende des Tages zählte nur, dass sie seine Befehle befolgten. Und das taten sie, als sie weiter durch den Wald marschierten. Auf ihrem Weg kamen sie immer wieder an einzelnen Häusern und kleinen Siedlungen vorbei, die jedoch nun bis auf einige Krähen und Raben, die spottend auf sie herabblickten, immer verlassen waren. Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass das Heer des großen Königs Azolinor in ihr Reich eingedrungen war und niemand es daran hindern konnte.
Trotzdem war Erelor besonders auf der Hut, als Späher ihm berichteten, dass sich direkt vor ihnen eine Stadt befand. Erelor ließ die Stadt eine Weile aus der Entfernung beobachten und betrachtete sie selbst von einer Anhöhe aus, was nur möglich war, weil der Nebel an jenem Tag nicht ganz so dicht war, wie in den Tagen zuvor. Alles deutete auf eine Falle hin, aber selbst nach Stunden konnten weder Erelor noch seine Männer irgendein Zeichen dafür entdecken, dass die Stadt nicht völlig verlassen war. Schließlich beschloss Erelor, einige Freiwillige als Stoßtrupp vorzuschicken, um zu schauen, ob die Luft tatsächlich rein war. Da sich jedoch kaum jemand meldete, mussten noch einige Männer gezwungen werden, unter dem Kommando eines Hauptmannes namens Drasor geschickt zu werden. Die Anspannung bei den Wartenden war greifbar und als einer von Drasors Soldaten endlich nach einer gefühlten Ewigkeit zum Heer zurückkehrte, um zu berichten, dass die Stadt wirklich leer war, war die Erleichterung groß. Niemand hatte sich einen Kampf in den engen Gassen einer fremden und fremdartigen Stadt gewünscht.
Das Heer plünderte, was es zu plündern gab und brannten danach den ganzen Ort nieder. Als die Bewohner die Stadt verließen, hatten sie viel zurücklassen müssen, doch dieses Mal ließ Erelor alles kontrollierter und geordneter ablaufen, damit es nicht wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Soldaten kam. Doch während die Soldaten sich dieses Mal zurückhielten, konnte dies von den Hauptmännern nicht behauptet werden: Drasor hatte Vetros einen Feigling geschimpft, da dieser sich nicht gemeldet hatte, um voraus in die Stadt zu gehen und schließlich hatten beide Männer ihre Schwerter gezogen und waren aufeinander losgegangen. Doch auch einige der anderen Hauptmänner hatten sich in den Kampf eingemischt, da sie alle Vetros für seine Stellung beneideten, aber auch nicht akzeptieren wollten, dass jemand wie Drasor, der aus einer einfachen Familie stammte, seinen Platz einnahm.
Während sich also die Hauptleute gegenseitig umbrachten und Erelor danach Ersatz für sie suchen mussten, machte sich eine Schar Soldaten über die Weinfässer her, die sie aus der Stadt geholt hatten. Sie tranken viel, doch blieben sie diesmal friedlich und begannen, fröhliche Lieder zu singen. Nach einiger Zeit jedoch begannen die Männer über Unwohlsein und Bauchschmerzen zu klagen und es dauerte nicht lange, da erbrachen sie Wein und Blut und, so behaupteten zumindest einige, ihre Eingeweide. Die verfluchten Elben hatten den Wein vergiftet.
Erelor machte in den nächsten Nächten kaum mehr die Augen zu. Er erwartete, dass irgendjemand ihn schließlich im Schlaf ermorden würde, um dann mit dem Heer nach Ladorien zurückzukehren. Er wollte nicht als schwach gelten, doch er hatte das Gefühl, die Zügel lockern zu müssen, um eben dies zu verhindern. Als die Männer in einiger Entfernung Rauch aufstiegen sahen und glaubten, dies müssten die geflohenen Stadtbewohner sein, die ihnen so schändlich zugesetzt hatten, befahl er daher, auf die Feuer zuzumarschieren, um sich an den Elben zu rächen, womit er nur dem nachkam, was sich die Männer wünschten.
Dass es sich allerdings nicht um den Rauch von Lagerfeuern handelte, stellten sie erst fest, als es zu spät war. Wie Narren stolperten sie in eine Schlucht, aus welcher der Rauch aufstieg, nur um dann zu bemerken, dass es die Wohnstätte eines Lindwurmes war, eines grässlichen, flügellosen Drachenwesens, das oberhalb der Klippen lauerte und sein Feuer auf die Unglücklichen spie. Hätten sie trotz der Verluste zumindest den Wurm getötet, so wäre die Schande und Scham über ihren Irrtum nicht so vollkommen groß gewesen, doch Pfeile und Speere prallten von den Schuppen der Bestie einfach ab und so blieb ihnen nichts als eine lange und kräftezehrende Flucht.
Sie kamen schließlich zu einem unbewaldeten Hügel und Erelor beschloss, dass sie dort die Nacht verbringen sollten, da sie so am ehesten bemerkten würden, wenn der Lindwurm oder irgendeine andere Kreatur sich näherte. Zumindest war es das, was er sich einredete, denn es wäre wohl besser gewesen, wären die Männer nach kurzer Rast noch weitermarschiert, um irgendwo unter den Bäumen Schutz zu finden. Eigentlich aber traute er sich nur nicht, seine Soldaten weiter anzutreiben, die zu keinem weiteren Schritt mehr zu überreden gewesen waren. Erelor verbot, Feuer zu machen, doch das, was in der Nacht über sie kam, brauchte keine Feuer, um sie zu sehen.
Der Heerführer hatte endlich Schlaf gefunden. In seinen Träumen verfolgte ihn eine in Leichentücher gehüllt Gestalt umschwärmt von Raben durch dichten Nebel, doch der wahre Albtraum war der, den er erlebte, als Schreie in weckten. Große Schwingen verdeckten für einen Moment den Vollmond, Pferde wieherten hysterisch und Erelor wusste nicht, was er befehlen sollte, um das Chaos zu ordnen. Ein paar Fackeln brannte und Erelor wusste nicht, ob sie gegen seinen Befehl schon zuvor, oder erst dann entzündet worden waren, als offensichtlich war, dass sie angegriffen wurden. Er lief zu einem der Fackelträger, doch noch ehe er ihn erreichte, schnellte ein menschengroßes etwas mit ledrigen Schwingen auf den Mann nieder, packte ihn und riss ihn mit sich in die Höhe. Erelor konnte im Schein des Feuers nur einen flüchtigen Blick auf die skelettartige Fratze mit den wie Kohlen glühenden Augen werfen und vielleicht war dies ein Segen. Der Heerführer dachte nun nicht mehr darüber nach, was er machen konnte. Er tat es seinen Männern gleich und floh in die Finsternis der Wälder.
Erelor wusste nicht, ob eine gnädige Ohnmacht ihn schließlich übermannte, doch als er aufwachte, war es bereits Tag und bei ihm befanden sich noch zwölf seiner Soldaten, von denen er jedoch keinen einzigen namentlich kannte. Sie sprachen nicht, über das, was geschehen war, sondern nur darüber, was sie nun tun sollten. Erelor gab nun keine Befehle mehr, sondern beugte sich der Entscheidung der Mehrheit. Sie wollten umkehren und sehen, dass sie zurück nach Ladorien kamen, wenngleich die Hoffnung, es wirklich zu schaffen, schwach war. Vielleicht würden sie auf dem Weg andere Soldaten treffen, aber Erelor interessierte sich nicht mehr für sie. Er wollte nur noch nachhause.
Erschöpft folgten sie einem Wildpfad, denn die Straße hatten sie aus den Augen verloren und als es zu dämmern begann, sahen sie an einem Teich ein schönes Haus mit einer Scheune stehen, vor der einige Ziegen grasten. Ehe sie Zeit hatten, einen Plan zu schmieden, trat ein Mann aus dem Haus heraus, der sie sogleich erblickte. Der Mann war überaus hochgewachsen und sein schwarzes Haar war zu einem Zopf gebunden. In seiner Hand hielt er eine gewaltige Axt, die selbst für diesen stattlichen Elb zu schwer wirkte. Erelor wollte sich schon auf einen Kampf einstellen, doch der Elb hob seine Hand zum Gruße und lächelte.
Es stellte sich heraus, dass der Elb, Adauror, zur Herrschaftszeit Ereldans, des Groß- oder gar Urgroßvaters König Azolinors einige Zeit Ladorien durchwandert und die Sprache gelernt hatte. Er erzählte ihnen in seiner altertümlichen Sprechweise, dass nicht alle Elben den Hass ihres Königs auf die Menschen teilte, die ihn einst verraten hatten, was zu seiner Ergreifung durch die Schergen Cevarins führte, die ihm die Augen und Zunge nahmen und die Hände zertrümmerten. Adauror sagte ihnen, dass seitdem viele Jahrtausende vergangen waren und er keinen Groll gegen Menschen hegte, die nichts Böses getan hätten, auch wenn ihre Vorfahren schlecht waren. Erelor schämte sich, als er den Worten Adaurors zuhörte, während dessen wunderschöne Frau Erhethil ihm und seinen Gefährten Wein nachschenkte, nachdem sie köstliches Wildbret an ihrer Tafel gegessen hatten. Als Adauror schließlich fragte, warum sie sich in diesen Wäldern verirrt hätten, konnte Erelor nicht anders, als ihn anzulügen und ihm zu erzählen, dass er und einige weitere Soldaten ausgesandt worden waren, um einen sicheren Handelsweg nach Loranad zu finden, aber sie auf dem Weg von Ungeheuern überfallen worden wären. Adauror und Erhethil zweifelten nicht an seinen Worten und der Elb erzählte von den Gefahren des Waldes. Während er sprach, bemerkte Erelor, wie seine Soldaten die Frau des Elben musterten und auch ihm kam der Gedanke, dass er lange nicht mehr mit einer Frau gelegen hatte.
Nachdem sie müde und satt waren, versprach Adauror, sie, wenn sie sich ausreichend erholt hatten, zurück an den Waldesrand zu führen, sodass sie nach Ladorien heimkehren konnten. Sie sollten seine Gäste sein und sich alle Zeit nehmen, die sie brauchten. Und so kam es, dass sie einige Tage bei Adauror und Erhethil verbrachten und in dieser Zeit auch der Nebel lichter wurde. Nur die Krähen störten diese Idylle, die von Tag zu Tag mehr zu werden schienen und von denen Adauror sagte, sie seien die Augen des Königs. Erelor und die anderen halfen Adauror bei allen möglichen Arbeiten, doch war ihnen allen klar, dass sie nicht ewig bleiben konnten. Es könnte jederzeit passieren, dass ihre Gastgeber erfuhren, wer sie wirklich waren und was sie wirklich getan hatten. Als Erelor an einem Tag mit einem anderen Soldaten an dem Teich saß, um für das Abendessen zu fischen, wollte er diesem gerade sagen, dass es besser war, wenn sie am nächsten Tag aufbrachen, als der Schrei einer Frau erklang und sogleich erstickt wurde. Dass es Erhethil war, wusste Erelor sofort und dass einer seiner Männer der Grund für den Schrei war, war ihm im selben Augenblick klar. Er rannte mit dem anderen Soldaten in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war und entdeckte dort drei der Männer, deren Absichten mit Erhethil nur allzu deutlich waren. Erelor verfluchte sich dafür, nicht sein Schwert dabei zu haben, denn er hätte es in diesem Moment gegen seine eigenen Landsleute gerichtet. Mehr noch, um seinen eigenen Hals zu retten als die Ehre der Elbenfrau, denn im nächsten Moment schon hörte er, wie schnell Schritte sich näherten.
Er wirbelte herum und sah Adauror mit seiner erhobenen Axt auf sie zukommen, das Gesicht so hasserfüllt, dass Erelor nur erstarrt zu sehen konnte, wie der Elb einen Ladorier, der ebenfalls hinzukam, fällte. Es dauerte nicht lange, da war Erelor der einzige der Ladorier, der noch lebte. Adauror machte keinen Unterschied zwischen den dreien, die Hand an seine Frau legen wollten und denen, die vom Lärm angelockt dazukamen. Erelor versuchte gar nicht erst, davonzulaufen, als der Elb sich schließlich mit seiner blutigen Axt ihm zuwandte. Der einstige Heerführer sank nur auf die Knie und erwartete den alles beendenden Hieb, der jedoch nie kam.
Noch am selben Tag machte sich Adauror mit einem an den Händen gefesselten Erelor auf den Weg, der sie jedoch nicht nach Ladorien führen sollte. Adauror schleifte ihn tiefer in die Wälder hinein, wobei sie hin und wieder an den Überresten ladorischer Soldaten vorbeikamen. Nebel umgab sie und das unablässige Krächzen von Raben, die gierig darauf zu warten schienen, sich an Erelors Fleisch laben zu können. Es wäre wohl das gnädigere Schicksal gewesen.
Erelor wusste nicht, wie lange sie gegangen waren und wie oft sich Tag und Nacht abgewechselt hatten, denn der ewige Nebel schien sie ersetzt zu haben und in ihm glaubte er, Vetros und Garbor marschieren zu sehen und viele andere Soldaten, die mit ihm ausgezogen waren. Mit ihnen sah er die Geister von Elben gehen, doch manches Mal, so schien es ihm, waren es keine Geister, sondern Lebende, die sie ein Stück begleiteten. Er sah zwergenhafte Gestalten im Nebel und Riesen. Er sah die trübe Flammen aus den Nüstern eines Lindwurmes und wenn er auf den Boden schaute, sah er die Schatten lederflügeliger Bestien. Er sah König Azolinor, der ihn mit einem Blick voller Enttäuschung und Verachtung strafte und er sah einen Mann in Leichentüchern am Wegesrand stehen. Erelor fragte sich, ob er bereits tot war und er wusste, dass nur Adauror verhinderte, dass er diesem Wahnsinn endlich ein Ende machte.
Schließlich kamen sie durch ein Tor in eine Stadt, die so in Nebel gehüllt war, dass Erelor zunächst nicht erkannt hatte, wo er war. Stimmen hörten sich an, als befände er sich unter Wasser und erst, als er in eine große Halle geführt wurde, lichtete sich der Nebel. Vor Erelor auf einem Thron, der direkt aus einem Baum gewachsen zu sein schien, saß der Mann, den er schon einige Male im Wahn gesehen hatte, doch erkannte er nun, dass es keine Leichentücher waren, die er trug, sondern weiße Gewänder. Das Haar des Mannes war lang und schwarz und fiel ihm offen auf die Schultern. Das Gesicht war schmal, fast ausgemergelt und eine weiße Binde verdeckte seine Augen. Als er sprach, öffnete er nicht den Mund, sondern die Schnäbel der hundert Raben, die sich im Thronsaal befanden, um seine Worte zu sprechen. Erelor sollte sein Bote sein, seine Stimme, welche die Menschen daran erinnerte, dass sie in seinem Reich nicht willkommen waren und dass ihre Zeit vorübergehen würde.