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Hallo! Ich möchte ein wenig mit euch über Welten und Profile nachdenken und diskutieren.
Der Begriff Welt ist in diesem Rahmen hier denke ich hinreichend geklärt.
Den Begriff Profil beleuchte ich kurz. Ich sehe da einige sehr ähnliche Begriffe, wie etwa Charakter, Stil, Wesen, Charakteristika, Genre. Vielleicht hat das Profil auch was mit dem primären Zielpublikum der Weltpräsentation zu tun und damit, worauf dieses Publikum Foki legt. Ganz sicher hat es damit zu tun, worauf der Weltenbauer Wert legt (,oder?).
Hier einige Fragen, grob aufeinander aufbauend:
1) Gibt es sowas wie das Profil einer Welt? Wenn ja, ist das von Betrachter zu Betrachter komplett verschieden, oder lässt sich sowas wie eine Schnittmenge finden?
2) Was trägt zur Bildung eines solchen Profils bei? Sind es Dinge, die eine Welt hat (welche)? Sind es Dinge, die eine Welt nicht hat (welche)?
3) Welche Rolle spielt die Präsentation der Welt für das Profil? Also welches Medium? Welche Art der Sprache? Wie kann der Weltenbauer hier das Profil lenken?
4) Wie stehen Genre zum Profil? Sind Genre der Versuch, Welten mit ähnlichen Profilen zu gruppieren? Und anhand welcher Merkmale?
So, mit diesen Fragen viel Spaß! Ich misch mich später ein.

Da du den Begriff in deiner Erklärung verwendet hast, übernehme ich ihn mal: Genre. Das ist nämlich der, mit dem ich mich auch am sichersten fühle.
Ich denke, jede meiner Welten hat ein bestimmtes Genre. Das hängt von mir und der Welt ab, aber nicht vom Betrachter. Und natürlich wähle ich die Inhalte jeder Welt auch ein wenig danach aus, damit alles zusammenpasst. In den meisten Fällen präsentiere ich meine Welt ja durch Text, den wähle ich eher, weil es mir die Präsentation leichter macht, als aus anderen Gründen. Ich kann nun mal besser und mehr schreiben, als zB zeichnen oder Filme produzieren (aber wenn ich DAS könnte...)
Ich würde immer sagen, ein Genre ist eine Gruppierung. Das heißt ja nur, dass ich es leichter habe, etwas zu finden, dass mir gefällt, wenn ich mein Lieblingsgenre kenne.
Ich weiß nicht, ob ich damit deine Frage wirklich beantwortet habe, aber ich hoffe mal, dass ich nicht ganz daneben liege. Ich weiß nämlich nicht so genau, was du nun mit Profil eigentlich meinst.

Ich habe nun einige Tage über dieses Thema nachgedacht, denn ich glaube, dass Arti mit dem Begriff des Profils einen durchaus wichtigen Bestandteil des Weltenbaus benennt und eine theoretische Beschäftigung mit diesem Themenkomplex hilfreich für das Basteln von Welten einerseits und dem Gespräch darüber andererseits förderlich ist.
Die im ersten Post aufgeführten Punkte mit denen Arti das „Profil“ umschreibt (Charakter, Stil, Wesen, Charakteristika, Genre), sehe ich als dessen Unterpunkte oder Bausteine an. Aus ihrem Zusammenspiel entsteht schließlich das Profil, das sich durch die Verbindung mit der medialen Präsentation der Welt schließlich zu einem „Weltenfeeling“ entwickelt; wobei letzteres anderswo immer ziemlich schwammig als „Gefühl“ gedeutet wird, meiner Meinung nach aber auch und vor allem eine erzeugbare Wirkung aus Stimmung und Stimmigkeit ist, die letztlich eben auf dem Profil aufbaut.
Die einzelnen Bausteine (Charakter, Stil, Wesen, Charakteristika, Genre) hat jede imaginäre Welt, mehr oder weniger stark ausgeprägt, immer; unabhängig davon ob dem Bastler dies beim Bau seiner Welt bewusst war oder nicht. Das Profil einer Welt entsteht schließlich dadurch, dass der Bastler sich bewusst oder unbewusst in einzelnen Punkten zu Entscheidungen durchringt und diese als bewusste oder unbewusste Richtschnur an sein Basteln anlegt. Je bewusster der Bastler sich seinem Profil wird, desto deutlicher kann er dieses auch kommunizieren und desto einfacher ist es, enttäuschte oder falsch erhoffte Erwartungen des Publikums zu verhindern oder wenigstens im Nachhinein zu erklären. Denn Aussagen wie „Bei deiner Welt entsteht bei mir einfach kein Weltenfeeling“ laufen letztlich darauf hinaus, dass das Profil der Welt nicht kommuniziert werden konnte. Schließlich bringt ein Publikum immer eine gewisse Erwartung mit, selbst wenn es sich vornimmt objektiv und neutral urteilen zu wollen oder sich „überraschen lassen“ will. Man könnte bezogen auf Welten vielleicht auch sagen, dass jedes Publikum sein eigenes Welten-Profil mitbringt und es wie eine Schablone an die präsentierte Welt des Bastlers anlegt; da wo Bastler-Profil und Publikums-Profil abweichen, entsteht Enttäuschung und je mehr Enttäuschung entsteht, desto weniger „Weltenfeeling“ kommt beim Publikum an.
Der erste Baustein, der eine genaurere Betrachtung verdient ist das Genre, bei dem sich bestimmt nicht nur Teja im Vorpost am sichersten fühlt, sondern den wir alle mehr oder weniger genau kennen, weil er uns bei Büchern, Filmen, Serien, Computerspielen, etc. ständig begegnet. Wir alle haben eine mehr oder minder ausgeprägte Vorstellung davon was „Fantasy“, „Sci-Fi“ oder „Western“ sein soll (und die Lieblingsgenres kann man direkt bei der Anmeldung hier im Forum schon anhaken). Sich über das Genre Gedanken zu machen ist meiner Meinung nach wichtig, weil es gleichzeitig ein Rahmen und ein Werkzeugkasten ist. Jedes Genres ist ein Gemisch verschiedener Elemente und Tropen, die ein Bastler wie Pinsel und Farben herausgreifen und benutzen kann, oder sich bewusst entscheidet diese oder jene eben nicht zu benutzen. Je deutlicher ich mich an ein Genre halte, desto eher kann ich die Erwartungen eines Publikums treffen, dass dieses Genre mag. Die Stellen, an denen ich das Genre dann bewusst breche, können als unerwartete Überraschung sogar ein positiver Erwartungsbruch für das Publikum sein.
Unabhängig davon ob ich gezielt innerhalb des Genre-Rahmens arbeiten möchte, ihn hier und da brechen oder ihn ganz vermeiden will („Keine Klischees“) ist es wichtig und wertvoll sich zumindest grob mit dem oder den in Frage kommenden Genres (manche überschneiden sich nämlich, da sie meist eher grob definiert sind) auseinanderzusetzen. Ich persönlich mag Welten, die Genrekonventionen aufgreifen und sie sich zu eigenen machen, sie in unerwarteter Weise brechen; ich mag es, wenn Klischees benutzt werden und nicht auf Teufel komm raus vermieden werden.
Adjektive wie „dark“ oder „gritty“, aber auch Zusätze wie „noir“ oder „-punk“ würde ich weniger als eigentliche Genre auffassen, denn als das Stil einer Welt, als „Subgenre“, dass andere erweitert. Es liefert neben weiteren Werkzeugen und Rahmen, vor allem eine konkretere Stimmung und Atmosphäre.
Der Charakter oder auch das Wesen einer Welt entsteht dann aus der Anwendung von Genre und Stil und ist quasi die Zwischensumme aller benutzten, nicht benutzten oder gebrochenen Elemente und Bedingungen, quasi die individuelle Anwendung der Blaupausen.
Als Charakteristika sehe ich vom Charakter der Welt erst einmal unabhängige Entscheidungen, die für die Welt getroffen wurden. Das können so lapidare Entscheidungen sein wie „Es gibt keine Pferde, nur Reitvögel“ oder komplexere „Auf dieser Welt gibt es keinen Sauerstoff und daher funktionieren die folgenden Prozesse nicht oder anders“. Charakteristika sind also wiedererkennbare Eigenschaften einer Welt, die entweder aus Entscheidungen von Genre und Stil erwachsen oder zusätzlich zu ihnen die Welt genauer definieren.
Es ist wichtig, sich solcher Charakteristika bewusst zu werden, denn ab einem gewissen Punkt beeinflussen sie die Stimmigkeit des Weltenbaus mindestens so stark, wie grundsätzliche Entscheidungen (Genre-Elemente).
Aus der Summe dieser Teile entsteht das eigentliche Profil, die Richtschnur, die, wie ich eingangs bereits erwähnte, als weitgehend unabhängig von der medialen Präsentation erachte. Weitgehend, aber nicht vollständig. Vielleicht ist das sogar falsch, denn ich sehe durchaus eine Abhängigkeit, jedoch nicht in beide Richtungen. Die Präsentation sollte dem Profil entsprechen, da über die mediale Gestaltung das Profil deutlich werden kann, ohne es explizit als Stichpunktliste der Präsentation voranzustellen. Aber nur durch die mediale Gestaltung, erlangt eine Welt kein Profil.
Ich bin der Meinung, dass es für jeden Bastler hilfreich und wichtig ist, sich mit solchen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, vor allem, wenn er seine Basteleien jenseits der stillen Kammer einem Publikum, gerade einem Internet-Publikum präsentiert. Dadurch können, wie bereits erwähnt, Missverständnisse besser ausgedrückt und besprochen werden, ohne auf reine Geschmacksurteile („Deine Welt gefällt mir nicht“) zurückzufallen. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, über explizite Profile schon - naja, das soll weniger eine Aufforderung zu Streit sein, als darauf hinweisen, dass mit Profil-Gedanken konstruktiveres Feedback (um das böse Wort der „Kritik“ zu vermeiden) erfolgen kann.
In meiner ersten Aktivitätsphase bei den Weltenbastlern drüben (das muss so um 2005/2006 herum gewesen sein) habe ich mein damaliges Weltenprojekt als Schauplatz für Dungeons & Dragons-Sessions in seiner damaligen 3. Edition benutzt; und für diese Edition gab es eine Menge an Zusatzmaterial, auch durch 3rd-Party-Publisher, von dem meine Freunde und ich eine Menge kauften und es dann natürlich auch nutzen wollten. Damals habe mich mir noch keine Gedanken über Profile oder auch nur einzelne Bausteine davon gemacht und es wanderte munter fremdes Material in meine Welt hinein, Texte, Ideen und natürlich Bilder. Am Ende fühlte es sich überhaupt nicht mehr nach meiner Welt an, was in der Retrospektive daran lag, dass sich ihr Profil grundlegend verändert hatte – das konnte mir damals nicht so deutlich werden. Jedenfalls stellte ich meine Basteleien in dieser Hinsicht dann einige Zeit ein.
Später erschuf ich mein damaliges Projekt noch einmal grundlegend neu und klopfte jedes Element ab, überlegte ob ich es behalte oder rauswerfe. Auch da machte ich mir noch keine Gedanken über ein Profil, obwohl ich auch ohne theoretische Gedanken zu einem kam, denn ich fand irgendwann meine Richtschnur. Diese erlaubte mir dann auch später Gedanken und Beiträge meiner Spieler integrieren zu können, als wir die Welt wieder für Rollenspiele heranzogen.
Für mein derzeitiges Projekt, die Toraja, habe ich auch kein explizites Profil irgendwo formuliert, aber ich habe mir ganz zu Beginn meines Bastelprozesses Gedanken gemacht, welche oben genannten Profil-Bausteine ich wie bedienen will, ich habe mir also eine Richtschnur zurecht gelegt. Über die Jahre habe ich hier und da Anpassungen vorgenommen, aber letztlich habe ich sie nicht grundsätzlich überworfen; so konnten sich keine Elemente einschleichen, die mir den Spaß an meiner Welt verderben.
Um nach der Anekdote noch einmal ein bisschen zurück zur Theorie zu kommen, aber nicht zu nicht wieder zu theoretisch-trocken zu werden, möchte ich meine Toraja-Bastelei noch einmal aufgreifen und den Punkt der medialen Präsentation im Zusammenhang mit Profilen ansprechen:
Die Toraja hat mehr als ein Profil, weil es sich je nach betrachteter Epoche und teilweise auch je nach Region ändert, sie unterliegen aber alle gewissen Gemeinsamkeiten, Regeln (Charakteristika), die immer gelten. Bei meiner Präsentation der Welt gibt es zwei große Ebenen: Meine Website und das Forum bilden die eine, meine Rollenspielrunde bildet die andere.
Im Rollenspiel präsentiere ich das eine, gerade aktuelle Profil, dass ich hier und da auch durch Rollenspielregeln noch unterstützen kann. Im Internet präsentiere ich meine Welt vom Meta-Profil ausgehend. D.h. während meine Spieler mitten in der klassischen Epoche aktiv sind, betrachtet meine Website die Welt aus dem Jahr 1979 Nach, mehr als 2000 Jahre später! D.h. meine Spieler, die meine Website nur teilweise nutzen, haben einen ganz anderen Eindruck meiner Welt, als ihr sie über das Internet erhaltet. Für meine Spieler stellen sich viele Dinge unmittelbar und ungewiss dar, da sie durch ihre Figuren ja direkter verwickelt werden; dafür genießt ihr aus der Perspektive einer späteren Zeit mehr Überblick und teilweise auch mehr Einblick.
Euer Eindruck von meiner Welt, dürfte sich also von dem Eindruck meiner Rollenspieler unterscheiden, aber ihr solltet theoretisch genügend Schnittmengen finden, um zu deutlich zu erkennen, dass ihr über dieselbe Welt sprecht.

Also ich finde eure Beiträge sehr passend und informativ. Mir selber fällt es schwer, das Thema zu greifen und zu formulieren.
Teja, ich denke, dass du Genre ganz gut auf den Kopf getroffen hast.
Nharun, sehr beeindruckend die Theoriebildung. Vereinfacht könnte man also sagen: Profil = Genre + Stil + Charakteristika + Brise Magie?
So im Nachdenken über eure Beiträge und meine Startgedanken habe ich folgenden Beitrag. Ich habe den Eindruck, dass das Profil etwas ist, was sich zwischen den Zeilen des Weltmaterials abbildet. Es ist sozusagen der Niederschlag von etwas Ungreifbarem. Zum einen glaube ich, dass es sich dabei um die subjektive Lebens- und Weltperspektive des Erfinders handelt und zum anderen glaube ich, dass es das ist, was den Rahmen für die im andern Forum diskutierte Instanzenbildung bei Welten liefert.
Am konkreten Beispiel: In Tolkiens Schreiben, insbesondere im Herrn der Ringe (und selten auch mal in den Filmen), nehme ich eine Ebene wahr, die bezüglich ihrer Direktheit und Zugänglichkeit unterhalb der konkreten Worte und Sätze, unterhalb der Handlungen, unterhalb der Figuren und ihrer Motive und teilweise sogar unterhalb von so Dingen wie Sprachmelodie, Sprachregister, Stil liegt. Ich hab hier den Eindruck, mit biographischem Hintergrundwissen, seine Perspektive auf altnordische Mythologie, seine Liebe zur (milden) Natur und seine Erfahrungen an der Front im Ersten Weltkrieg herauszufühlen. Es ist manchmal nur ein Hauch davon, wie er Landschaften, Klima und Wetter beschreibt, um Stimmungen und Situationen zu illustrieren, das mir vor Augen führt, dass er als in Afrika geborener und im Krieg im Graben gelegener Mensch Natur ganz anders wahrnimmt als ich als Wohlstandssofakartoffel. Und es ist vielleicht auch nur ein Gefühl beim Betrachten der Stammtafeln von Dunédain und Co, das mir seine Sicht auf Mythologie, Zeitalter und Ahnen vermittelt. Aber das sind Dinge, die ich sonst in keiner Welt wahrnehme. Aufgefallen ist es mir erst in jüngster Zeit, da es viel leisere und dünnere Stimmen sind als die lauten aus dem Fantasy-Action-Abenteuer-Bereich der Filme. Ich bin geradezu erstaunt, wie diffizil, feingliedrig, ja filigran und feinsinnig seine Welt eigentlich ist, wodurch die ganze Brachialität des Konflikts erst so richtig heraussticht.
So. Bei manch anderen Welten hab ich diesen Eindruck, auf einer ganz tiefen und schwer zugänglichen Ebene so etwas wahrzunehmen. Für mich ist das ein besonderes Qualitätsmerkmal einer Welt, da es von viel Arbeit und Stimmigkeit zeugt und aus der oberflächlichen Immersion eine wirkliche andere Realität sui generis macht.

Zitat von Artifex Nerracis im Beitrag #4
Nharun, sehr beeindruckend die Theoriebildung. Vereinfacht könnte man also sagen: Profil = Genre + Stil + Charakteristika + Brise Magie?
Also haben Welten ohne Magie kein Profil?

Zitat von Chrontheon im Beitrag #5Zitat von Artifex Nerracis im Beitrag #4
Nharun, sehr beeindruckend die Theoriebildung. Vereinfacht könnte man also sagen: Profil = Genre + Stil + Charakteristika + Brise Magie?
Also haben Welten ohne Magie kein Profil?
Doch, natürlich. Magie war nicht als Inworldmagie gemeint, sondern als "das gewisse Etwas", das "Faszinosum", das "Körnchen Salz in der Suppe"...keine Ahnung. Nenn es den unerklärbaren Rest.