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Der Pfad
Die Sonne erhob sich am Horizont, als Er den Kiesweg beschritt. Begleitet von den Seinen ging Er, bis die Sonne sich am Zenit niederließ, und nahm Platz auf der Bank im Schatten der Eiche. Die Luft war ungewöhnlich kalt, und ein Wind zog auf; schon bald verfinsterte sich der Himmel, die Sonne entschwand hinter dunklen Wolken, Felsen erhoben sich um Ihn herum und rissen, und die Schlange mit den tausend Mündern kroch aus einer Höhle empor. Er war starr, als sie spie, und sogleich verschlang sie Ihn mit einem der Münder. Die Seinen waren fort, Er wollte raus, doch die Schlange hielt ihre Münder geschlossen, behielt Ihn, setzte ihren Weg fort.
Und da bemerkte Er: es waren andere gefangen wie Er, Leute, die waren wie er - manche heiter, manche düster, manchen konnte man nicht ansehen, wie ihnen zumute war. Schon bald war er da, der Mann in Schwarz, verlangte Seinen wertvollen Besitz, den die Seinen Ihm überlassen hatten, den nie zu verlieren sie Ihm geboten hatten. Es waren alle verschwunden, und der Mann in Schwarz sperrte Ihn in eine Zelle. Er konnte nicht entkommen, denn die Stäbe waren zu eng. Nur durch ein Loch in der Mauer vermochte Er es, das Freie zu erklimmen.
Er ging durch die stählerne Schlucht, vorbei an den Schatten, die ihren Weg durch die Dunkelheit bahnten. Als Er den Weg in die Weiten des Grünen fand, kam der Himmel nieder und ergoss sich auf den Wiesen; wieder und wieder riss der Himmel entzwei, und jemand brüllte auf Ihn nieder.
Und da kam ein Hund, in voller Mannesgröße, wollte Ihn beißen, hetzte Ihm nach. Nur mir Mühen war es Ihm gelungen, dem Hund zu entkommen, doch der Schmerz in Seiner Brust ließ Ihn nicht vergessen, wie Er nur knapp mit dem Leben davon gekommen war. Anstelle des Hundes war Er nun von riesigen Gestalten umgeben, dessen Gesichter verzerrt waren, die Ihn an sich nehmen wollten, in Höhlen sperren, die Ihn jagden, als er erneut die Flucht einschlug. Er war bald wieder in der Schlucht, wo viele lichter auf Ihn strahlten; Er lief und lief, bis Seine Beine nicht mehr wollten - doch da kam der Fels, und rollte über Ihn drüber.
„Wie geht es ihm?”, fragte der Mann in Grau den Mann in Weiß. „Er schafft es. Aber er braucht seinen Schlaf.” Der Gast nickte, und kehrte in die Eingangshalle zurück. War es wirklich eine gute Idee? Hätten wir es nicht verhindern können, wenn wir für ihn dagewesen wären? Er konnte es nicht wissen. Das konnte er nie, und das wusste er. Dies war eines der Dinge, die er nicht vorhersehen konnte.

Der Text ist wirklich sehr kryptisch und ich hatte beim ersten Teil vor dem Auftritt der Männer ind Weiß und Grau das Gefühl, einen Ausschnitt aus einer religiösen Schrift zu lösen, da ich mich ein klein wenig an die Offenbarung erinnert fühlte. Jetzt bin ich aber neugierig darauf, was hinter diesem Text steckt.

Ich bin auch neugierig was dahinter steckt. Es klingt religiös, aber was bedeutet es genau?

Mich würde auch interessieren, wer da U-Bahn/Straßenbahn fährt und nach dem Ausstieg angefahren im Krankenhaus liegt

Ich dachte auch erst an etwas religiöses, aber die These mit dem Angefahren-Werden ist auch nicht schlecht. Was steckt denn dahinter?

Aus irgendeinem Grund hab ich nicht mit so vielen Antworten gerechnet ... aber da ich das hier nicht länger aufschieben kann - insbesondere, wenn ich hier weitere Texte reinstellen will -, habe ich eine kurze Erklärung verfasst:
Mir wurde empfohlen, die Fragen ungeachtet der Konsequenzen zu beantworten. Es ergeben sich diesbezüglich jedoch Probleme, auf die ich im folgenden Spoiler eingehen werde. Es ist jedoch ratsam, sie nicht zu lesen, da es sich, wie ihr vielleicht vermutet, um einen [potentiellen] Spoiler handelt. Mit dem Weiterlesen übernehmt ihr die Verantwortung für dessen Folgen, wie gering ihr sie auch einzuschätzen vermögt.
Dieser Text ist Teil eines größeren Ganzen, das im Verlauf der Zeit nach und nach offenbart wird. Der Grund, weshalb ich nicht auf die Fragen eingehen will, ist einerseits, um Spoiler zu vermeiden, und andererseits, da einiges noch später beantwortet werden könnte, und es keinen Sinn hätte, Textstellen zum Lesen freizugeben, die im Grunde nur Feedbackantworten wiederholen. Das gilt auch für die Folgetexte: Kommt danach noch etwas, das aufkommende Fragen beantworten könnte, hat der Folgetext Vorrang. Wird eine Frage sicher nicht mehr beantwortet, oder handelt es sich um eine Unklarheit, die aufgrund des Schreibstils zustande kam, ist ein Aufschub der Beantwortung jedoch auszuschließen.
[Besagte Folgetexte müssen nicht unmittelbar im Anschluss, oder in chronologischer Reihenfolge eintreffen.]
Ich bitte um euer Verständnis und etwas Geduld!

Nächster Halt: Lilienfeld
„Nächtster Halt: Artberg!” Der Zug verließ den Tunnel, und fuhr langsam in die Station ein. Nach Artberg würde er den Pass überqueren und in das Blumental einfahren. Wenn man so darüber nachdachte, war es schon etwas merkwürdig, dass so viele Dörfer im Tal nach Blumen benannt waren. Das wird auch der Grund für den Spitznamen des Tals gewesen sein. Oder er kam durch die Blumentaler Sträuße in aller Munde. Viele Leute besuchten das Tal aber nicht. Gerade zwei Passagiere sind in Ebental zugestiegen, ansonsten wäre der Wagon leer. Diejenigen, die durchfahren würden, meideten jedoch den Regionalzug, und nahmen lieber die schnellere Strecke um die Bergkette herum.
Als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, wurde Chodnik zunehmend nervöser. Er war lange nicht mehr da gewesen, es könnte sich einiges geändert haben. Es wurde einge Weile dunkel draußen, als sie durch den langen Tunnel fuhren, und Chodnik riss an den Ecken seiner Zeitung herum. Sie alle mussten ziemlich angefressen auf ihn sein, denn nicht einer hatte ihm nur einen Brief geschrieben. Nicht einmal Rynek hatte ihm geantwortet. Und nun war er gezwungen, heimzukehren.
Der Zug verließ nun den Tunnel und fuhr über den Pass. Der dunkelblaue, vernebelte Himmel jenseits der Schüssel verschwand hinter den hohen, grauen Felswenden. Einige Minuten waren nur diese zu sehen, an der engsten Stelle nur wenige Ellen vom Fenster entfernt. Doch dann öffnete sich ihm ein Anblick, den er nie vergessen konnte: Ein klarer, hellblauer Himmel, gestützt von den grünen Weiden, die von gelben, roten, manchmal auch blauen Blumen besetzt waren, in der Ferne die schneefreien, braunen oder grauen Gipfel der Berge. Um die Gletscher zu sehen, saß er auf der falschen Seite, doch störten die hier sowieso das Bild.
„Nächster Halt: Rosental!” Einige Minuten, bevor sie in den Bahnhof einfuhren, waren die Wiesen um die Gleise herum von Rosenfeldern beinahe schon ersetzt. Inmitten des roten Meeres lag das Dorf an sich. Die Häuser waren mit Rosenblättern geschmückt, es musste ein Fest im Dorf geben. Doch wie sehr er sich auch anstrengte, Chodnik konnte sich nicht erinnern, was zu jener Zeit gefeiert wurde. Zu lange war er nicht mehr in der Gegend gewesen. Ein Mann in Schwarz hängte gerade Rosenblätterketten an die Namensschilder der Station. Neben dem Fenster zum Warteraum war ein Plakat aufgehängt: „Geburtstag des Bürgermeisters - auf viele glückliche Jahre!” Das erklärte einiges!
Als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, und das rote Meer sich in ein gelbes wandelte, fielen Chodniks Gedanken wieder auf seinen bevorstehenden Besuch. Vielleicht hatte sich doch nichts geändert. Das Tal war ihm ins Auge gefallen, wie er es bei seinem Abschied in Erinnerung gehabt hatte. Rosental hatte seine Traditionen, selbst den Bahnhof zu schmücken, noch beibehalten. Die Mittlandsdorfer mischten immer noch ihre Sonnenblumen zwischen die kleineren Blütenträger-
„Nächster Halt: Mittlandsdorf!” Chodnik hatte vergessen, wie nahe die beiden Dörfer aneinander lagen. Das Bahnhofshaus von Mittlandsdorf schien renoviert zu werden. Das halbe Dach fehlte, und weite Teile der Mauer waren durch Planen verdeckt. Damals hatte er ihm schon ansehen können, dass es die ein oder andere Reparatur brauchte, doch war es im Grunde noch in gutem Zustand gewesen. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Chodniks Magen aus. Er würde es vorziehen, nicht zu kommen, doch die Umstände ließen ihm keine andere Wahl. Warum musste es auch nur so verlaufen sein?
„Nächter Halt: Niederwald! Bedarfshalt - zum Aussteigen, bitte Haltewunschtaste drücken!” Einer der Passagiere stand ruckartig auf, setzte sich jedoch wieder nach einigen unverständlichen Worten seines Gegenübers. Früher war Lilienfeld auch ein Bedarfshalt gewesen. Es war seinem Vater zu verdanken, dass der Regionalzug nun jedes Mal dort stehenbleiben musste, auch wenn niemand aus- oder einsteigen wollte.
Der Bahnhof, und der kleine Wald zur Rechten des Zuges wurden ohne Halt passiert, und kurz darauf kam die nächste Durchsage. „Nächster Halt: Untersee!” Als Chodnik zehn Jahre alt war, wurde der Bahnhof zu „Unter-/Obersee” umbenannt, um auch als offizieller Bahnhof von Obersee, am nördlichen Ende des Gewässers, zu dienen. Nach einem Streit der Dörfer nur sieben Jahre später wurde der Obersee-Teil des Bahnhofes wieder gestrichen. Es war Chodnik egal, welcher Name am Bahnhofshaus geschrieben stand - so oder so kam man durch ihn immer zu beiden Dörfern.
Von der Perspektive des Bahndammes aus gesehen, schien Obersee tatsächlich höher als Untersee gelegen zu sein, obwohl dies - abgesehen von kaum merkbaren Höhenunterschieden - nicht wirklich der Fall war. Das Wasser war so blau wie der wolkenlose Himmel, der über ihm lag. Chodnik erinnerte sich noch, wie seine Familie früher im Sommer immer hierher gekommen war, um im klaren Wasser zu baden. Vielleicht hatte Rynek die Tradition beibehalten, doch was konnte Chodnik schon darüber sagen? Wenn es nach seinen Verwandten ginge, wäre er von allen Familienangelegenheiten ausgeschlossen. Was das wohl über seine Einladung aussagte?
„Nächster Halt: Kastenstein!” Es schien also noch eine Namensänderung gegeben zu haben. Als Chodnik das letzte Mal an diesem Bahnhof vorbei kam, wurde er noch als „Altkastenstein” angekündigt. Bei der Einfahrt offenbarte sich ihm jedoch der Grund: Die beiden Dörfer Alt- und Neukastenstein waren zusammengewachsen. Zu beiden Seiten des Bahndammes waren weitere Siedlungsgebiete entstanden, und der Weg zur Burg hinauf war kaum noch als der Pfad zu erkennen, den er früher mit Rynek und seinem Vater beschritten hatte.
Das Gefühl in seinem Magen wurde stärker, als sie auch Kastenstein hinter sich ließen. Zwei Stationen noch. Das war weniger, als er brauchte. „Nächster Halt: Mondblumental! Bedarfshalt - zum Aussteigen, bitte Haltewunschtaste drücken!” Die beiden anderen Passagiere standen auf, und brachten ihr Gepäck zur vorderen Tür. Zumindest blieben sie noch einmal davor stehen!
Das Mondblumental war eingentlich nur eine Mulde im Bild des Blumentales. Eine Mulde, gefüllt mit hellblauen Blüten! Das Dorf an sich war recht klein, Chodnik hatte es mit seiner Familie vielleicht einmal besucht. Abgesehen von den Mondblumenfeldern hatte es aber auch nicht viel zu bieten. Die beiden Passagiere, die nun in die Bahnhofshalle, sofern diese jenen Namen verdiente, gingen, besuchten vermutlich ihre Verwandten. Sie waren eindeutig nicht von hier. Wie sehr ihn das an seine eigene Situation erinnerte ...
Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Das Gefühl in Chodniks Magen breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Die wohlbekannten Wiesen mit den weißen Blüten traten ins Blickfeld des Fensters. Die ersten Häuser erschienen in der Ferne. Er wusste, er müsste sich nicht beeilen, damit der Zug halten würde, doch lange würde er nicht bleiben. Und auch nur eine verpasste Station würde eine Verspätung von Stunden bedeuten. Die Unergelmäßigkeit der Durchsagen machte alles noch schlimmer. In der Stadt waren die auf die Sekunde genau geplant, doch sobald man den Blumentaler Regionalzug betrat, schien es am Schaffner zu liegen, den „richtigen” Moment zu treffen. Schon war der Bahnhof zu sehen - nun, das, was vom Bahnhof existierte: der eine Bahnsteig. Der Grund, weshalb es ursprünglich ein Bedarfshalt gewesen war, weshalb Chodnik vorne eingestiegen war. Wenn Mondblumental auch das kleinere Dorf sein mochte, war Chodniks Heimbahnhof nicht annähernd die Bezeichnung wert. Ein Bahnsteig, zu kurz für auch nur zwei Wagons des Regionalzugs, aus einer Zeit, wo die Pässe noch keine Gleise hatten, und das Tal seine eigene, abgeschiedene Eisenbahnlinie, mit einem Schild, das den Namen der Station und den Fahrplan preisgab. Kein Bahnhofshaus, keine Wartehalle, keine Schalter - wer hier einstieg, durfte seine Fahrkarte im Zug kaufen. Und schließlich, während der Zug einfuhr, ertönten die Worte, die Chodnik am meisten fürchtete.
„Nächster Halt: Lilienfeld!”

Das klingt nach einer sehr netten Gegend; deine Beschreibungen finde ich auch immer sehr schön und obwohl nicht viel passiert ist, war es dadurch gut zu lesen. Ich bin mal gespannt, wie es weitergeht und was wir noch über das Tal erfahren und warum Chodnik nach so langer Zeit nun dorthin zurückkehrt.

Der Bär
Słownik ging durch den dunklen Flur, den Bären hinter sich her schleifend, dem Wohnzimmer entgegen. Licht drang durch die gläserne Tür, und er konnte die verzerrten Gestalten seiner Eltern erkennen. Sie schienen über etwas zu diskutieren, doch Słownik war zu müde, um zu verstehen, worum es ging. „... zu jung! Du kannst ihn nicht die Nacht über alleine lassen”, meinte seine Mutter, doch der Vater schien eine Antwort vorbereitet zu haben. „Ich habe mit Jasin geredet. Er übernimmt die Schicht, und kann auf ihn achten.” Kurz darauf verstummten die Stimmen, und die Gestalt seiner Mutter näherte sich der Tür, schüttelte den Kopf, und öffnete sie daraufhin.
„Kannst du wieder nicht schlafen?” Słownik nickte, und die Mutter hob ihn auf, und setzte ihn an den Tisch. „Die Monster?” Słownik nickte auf die Frage des Vaters hin, während er den Saft entgegennahm, den seine Mutter anbot. Es waren wieder die Monster unter dem Bett. „Das haben wir dir doch schon erklärt! Die Monster können dir nichts antun! Teddy beschützt dich.” Diese Erklärung hatte Słownik schon oft gehört: Teddy beschützte ihn vor den Monstern. Słownik schaute hinab in die leblosen Augen des Bären. Er zweifelte daran, da seine Angst vor den Monstern nicht verschwand, egal, was der Bär machte. Sie waren manchmal ... zu real.
Nachdem er sein Glas geleert hatte, brachte seine Mutter Słownik zurück in sein Zimmer. „Du musst wirklich keine Angst haben”, versicherte sie ihm. „Wir jagen die Monster immer fort, wenn sie es wagen, zurückzukommen.” Ihre Worte, und das Lied, das sie ihm zum Abschluss sang, waren beruhigend genug, um Słownik beim Einschlafen zu helfen. Hoffentlich ließen sie ihn diesmal in Ruhe, die Monster in den Schatten.
Am nächsten Morgen war die Angst des Vorabends vergessen. Nach dem Frühstück ging Słownik zum Spielen in den Garten. Den Bären hatte er wie üblich dabei, was ihn nicht gerade sauber hielt. Doch zumindest erlebten die beiden die spannensten Abenteuer: Sie verteidigten Burgen gegen Monster, ritten Drachen über Berge, und retteten Dörfer vor plündernden Hasen.
Zur Mittagszeit wurde Słownik ins Haus gerufen, da das Mahl bereitet war. Das letzte, wie er noch erfahren sollte. Sein Vater war ebenfalls anwesend, eine rare Begebenheit, da er meist zu jener Zeit arbeitete. Doch er war da, um Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. Die letzten Stunden, wie es sich herausstellen sollte. Słownik konnte die Stimmung seiner Eltern spüren. Keiner der beiden traute sich über die Zeit des Mahls, ihn aufzuklären. So aßen sie gemeinsam, schweigend, bis die Töpfe und Teller restlos geleert waren.
Nach dem Mahl ging Słownik mit seinem Vater in sein Zimmer, wo ein Koffer gepackt wurde. Und da erfuhr er, warum dies der letzte Tag mit seinen Eltern war. „Słownik, du wolltest doch schon länger wieder mal den Opa am Bauernhof besuchen, stimmts?” Der Bub nickte, verwirrt über diese Frage. „Wir haben den Opa gefragt, ob du kommen kannst, und er hat gesagt, dass er sich darüber freuen wird.” Ein Lächeln erschien auf Słowniks Gesicht, denn er hatte seine Großeltern seit Monaten nicht mehr gesehen. „Wir können dich aber nicht begleiten”, erklärte der Vater in weiterer Folge, „denn wir müssen uns um die Leute hier kümmern.” Słowniks Stimmung sank, als er dies hörte. „Ich will nicht alleine fahren!” „Das musst du nicht”, versicherte sein Vater. „Kennst du noch Jasin? Er wird auch im Zug sein, mit dem du fährst. Wenn irgendwas ist, kannst du immer zu ihm gehen.”
Bald war der Koffer gepackt, und die Familie beschritt den Weg zum Bahnhof. Der Vater kaufte ihm noch etwas führ die Fahrt, damit er unterwegs nicht vom Hunger geplagt wurde. Je weiter die Zeit voranschritt, je näher sie dem vorherbestimmten Bahnsteig kamen, desto unruhiger wurde Słownik. Er wusste, dass er bald von seinen Eltern getrennt war, dass er, bis auf den Bären und einen Freund der Familie, auf sich allein gestellt war. Die Eltern merkten dies, und sprachen beruhigende Worte. „Alles wird gut, wir werden uns bald wiedersehen”, versprach die Mutter. „Wenn wir Zeit haben, kommen wir auch zum Bauernhof.” „Und vergiss nicht: Teddy wird dich beschützen! Solange er bei dir ist, kann dir nichts Schlimmes passieren! Und wenn du etwas brauchst - egal was -, frag Jasin danach!”
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, gingen sie gemeinsam zu der vordersten Tür des Zuges, wo sie sich mit Jasin trafen. „Da ist er, mein junger Passagier”, begrüßte ihn der Schaffner, bevor er sich den Eltern zuwandte. „Die Papiere habt ihr?” Der Vater nickte und reichte ihm ein Kuvert. „Pass gut auf ihn auf.” Jasin grinste, als er die Aufforderung hörte. „Ich weiß. Wie könnte ich auch nicht? Schließlich wisst ihr ja, wo ich wohne!” „Noch etwas: Der Bär muss immer bei ihm bleiben. Egal, was passiert!” Jasin nickte, und begleitete Słownik in den Zug, nachdem sie sich von den Elten verabschiedet hatten.
„Mein Abteil ist gleich neben deinem”, erklärte der Schaffner, nachdem er die Reservierung und das Ticket durchgelesen hatte. Er half ihm, sein Gepäck zu verstauen, und setzte sich zu ihm. „Du besuchst wieder deine Großeltern?” „Ja. Ich hab sie lange nicht gesehen.” „Verständlich. Ich sollte meine auch wieder besuchen.” Die beiden redeten eine Weile, bis Jasin beschloss, die erste Runde zu gehen. Sein Kollege, den er Linak nannte, blieb im Schaffnerabteil, und prüfte den Fahrplan.
Kurz nachdem Jasin zurückgekehrt war, fuhr der Zug in den nächsten Bahnsteig ein. Viele Passagiere passierten Słowniks Abteil, und einige betraten es, denn ihre Liegeplätze befanden sich hier. Es waren drei: Ein junger Mann, und ein älterer Herr mit seiner Enkelin. Letztere verwickelten Słownik schnell in ein Gespräch, das andauerte, bis die Lichter schwächer wurden. Jasin schaute vor der dritten Runde noch einmal in das Abteil, und stellte fest, dass sein Schützling bereits schlief. Er hatte die Konversation mit den anderen beiden Passagieren bemerkt, und sie überprüft, um sicherzugehen, dass die Verbindung, die hier entstanden war, nicht zu Słowniks Nachteil wurde.
Słowniks Schlaf war unruhig. Mehrere Male wachte er aus besorgniserregenden Träumen auf, und konnte länger nicht einschlafen. Die Unsicherheit, ob die freundlichen Passagiere in der Dunkelheit noch da waren, die Angst vor den Monstern unter ihm, und die Tatsache, dass Jasin nie das Abteil zu überprüfen schien, hielten ihn wach, bis die Müdigkeit ihn überwältigte und der Kreislauf von vorne begann.
Einmal wachte er auf, als der Zug stehen blieb. Im Lichte des Bahnsteigs konnte Słownik erkennen, dass die Betten der freundlichen Passagiere leer und aufgeräumt waren. Er war allein. Fast hätte er sich auf den Weg gemacht, um Jasin zu suchen, doch unter ihm schlief der dritte Passagier, den er nicht wecken wollte. So wandte er sich an den Bär, der ihn mit seinen leeren Augen anschaute.
Als Słownik erneut erwachte, war der Zug wieder in Bewegung, und die Luft im Abteil war kühler als zuvor. Im Mondlicht konnte er die Veränderung in der Landschaft erkennen. Der Zug war anscheinend schon über der Grenze. Słownik atmete tief ein. Der Gedanke, bald am Bauernhof zu sein, war beruhigend. Er hatte nichts gegen die Gärten und Weiden der Heimat, doch im Norden schien die Natur natürlicher zu sein - ungezähmt, ungeformt, unangetastet von der regulierenden Menschenhand.
Plötzlich bemerkte er einen Schatten. Da, wo die Liegeplätze der freundlichen Passagiere waren, stand eine Gestalt - und schien ihn anzustarren! Das Licht war zu schwach, um das Gesicht zu offenbaren, doch Słownik wurde das Gefühl nicht los, dass die Gestalt ihn angrinste, dass die Monster erwacht waren. Kaum war ihm der Gedanke entfleucht, war die Gestalt einen Schritt näher. Słownik schrie in Panik, doch eine Hand bedeckte seinen Mund und erstickte den Schrei kurz darauf. „Sei still”, befahl eine Stimme drohend, während Słownik von seinem Platz gezerrt wurde. Lange hielt die Gestalt ihn jedoch nicht, denn ein weiterer Schatten, größer als die Gestalt, mit breiten Armen und runden Ohren, erhob sich über ihn, und wehrte den Angreifer ab.
Jasin, durch die gedämpften Geräusche im Nachbarabteil alarmiert, betrat jenes und hellte das Licht auf; der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn in seiner Bewegung erstarren. „Krzesło! Deswegen sollte der Bär bei ihm bleiben!” Besagter Bär, auf die vierfache Größe angewachsen, hielt den dritten Passagier am Boden fest, während er sich zu Jasin umdrehte. „Słownik ist sicher”, sagte der Bär mit tiefer Stimme, während er Jasin mit seinen leeren Augen zu durchbohren schien. „Ok..” Jasin wusste nicht recht, wie er auf die Situation reagieren sollte. Er wusste um die Fähigkeiten von Krzesło und Dolina, doch dass sie ihrem Sohn einen Bodyguard in Form eines Teddybären geben konnten, war ihm nicht bewusst. Gleich darauf erschien Linak in der Abteiltür. Er hatte die letzten Stunden geschlafen, während Jasin zur Erfüllung seiner von Krzesło auferlegten Pflicht wach geblieben war. Als er den Bären bemerkte, drehte er sich umgehend um. „Ich bin nicht bereit dafür”, sagte er. „Kümmere du dich darum, ich beruhige mal die anderen Passagiere.”

Das Ende war unerwartet! Spielt die Geschichte im selben Zug, also in der selben Welt?

Zitat von Elatan im Beitrag #10
Das Ende war unerwartet!Spielt die Geschichte im selben Zug, also in der selben Welt?
Nein, die unterschiedlichen Geschichten spielen in unterschiedlichen Welten [Ausnahmen würde ich bei Bedarf nennen]. Der Zug in der Lilienfeldgeschichte war ein Regionalzug, der der Bärengeschichte war ein internationaler Nachtzug.
Es ist aber schon erstaunlich, wie viele Zuggeschichten mir so in den Sinn kommen ... hier hat es sich einfach ergeben, dass es eine Zugfahrt war, nur das Ende [das Geheimnis des Bären] war schon lange so geplant. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, ob die ursprüngliche Idee auch in einem Zug spielte.
Wie im Chat schon gesagt, konnte ich das Ende aufgrund des Erzählstils nicht seiner würdig schreiben, aber ich hoffe, das macht dir nichts aus.

Daheim
Es hatte sich tatsächlich nichts geändert. Der selbe traurige Bahnsteig, der selbe Erdpfad, der zum Dorf führte, das selbe Feld weißer Blüten, durch das Chodnik nun durchstreifte, um die Abkürzung zum Elternhaus zu nehmen. Wie hoch die Blüten nur aufragten! In der Stadt waren sie stehts gestutzt, das konnte er in den Schaufenstern der Blumenhändler erkennen. Doch hier waren sie teils größer als er selbst - was ihm nur recht war, denn so würden sie ihn nicht kommen sehen.
Während er so durch das Feld marschierte, vorbei an den Blüten, deren Pollen in seiner Nase juckten, und von Bienen umschwärmt wurden, seinen Pfad ins Gras trat, der jedoch nicht sichtbar bleiben würde, kamen ihm erneut Erinnerungen aus der Kindheit. Sie hatten hier im Lilienfeld gespielt, doch wehe, eine der Blumen knickte um! Dann wurden sie allesamt gestraft. Um nicht entdeckt zu werden, fanden sie Wege, sich schnell im Feld zu bewegen, ohne nur eine Blume zu berühren - das Gras darunter war egal, das hatte der Vater von außen nicht sehen können.
Rynek hatte immer die besten Ideen gehabt. Vermutlich nutzte er seine Erinnerungen, um den eigenen Kindern nun zuvor zu kommen. Einmal hatte er einen geheimen Pfad auf den Dachboden hinauf gefunden, wo sie unter den angesammelten Stücken Sachen gesucht hatten, die sie für ihre Spiele verwenden konnten. Sie hatten zwei alte Schwerter gefunden, die Rynek und Piórnik an sich genommen hatten, bevor mit den anderen Geschwistern in den Wald gegangen waren. Die jüngeren hatten dann Stöcken gesucht, die als Speere dienen sollten. Dann hatten sie zwei Teams gebildet, die um den Wald kämpften.
Bis heute fragte sich Chodnik, wie sein Bruder dem Vater die Verletzungen erklärt hatte. Schnitte, Abschürfungen, blaue Flecken ... Jajko hatte sich fast ein Bein gebrochen. Er bewunderte Rynek wahrlich dafür, immer die passende Lösung für ein Problem zu finden.
Im Lauf der Jahre hatten sie alle möglichen Wege durchs Haus und durchs Dorf gefunden. Sie waren nie immer alle dabei gewesen, aber Chodnik glaubte, dass Rynek das Haus am besten kannte; kein Pfad, kein Zimmer, keine Ecke war ihm unbekannt - nun, bis auf den Geheimgang im Keller, den hatte Chodnik alleine entdeckt, und seither niemandem davon erzählt. Im Dorf kannten sich wahrscheinlcih Piórnik und Czosnek am besten aus. Dziecko war am häufigsten mit seinen Freunden im Wald jenseits des Bahndammes gewesen; die Bäume waren ihm ein zweites Zuhause geworden.
Als das graue Dach des Elternhauses sein Blickfeld betrat, hielt Chodnik kurz inne. Zu gut erinnerte er sich noch daran, wie seine Geschwister auf seine Abreise reagiert hatten, welche Worte sie ihm entgegengeworfen hatten. Er wollte gar nicht erst daran denken, was seine Cousins nun von ihm halten würden, was ihnen gesagt worden war. Ob ihn nach all den Jahren nur einer freudig empfangen würde?
Rynek war nicht einmal da gewesen, als er das Haus ein letztes Mal hinter sich gelassen hatte. Am Tag zuvor war er nach Kastenstein gefahren, um mit einem Geschäftspartner des Vaters zu sprechen. Chodnik hatte ihn bis zum Bahnsteig begleitet, weil er hoffte, ihm von seinen Plänen zu erzählen. Sie waren allein gewesen, nur zu zweit! Doch als ihn die graubraunen Augen seines Bruders trafen, konnte er es ihm doch nicht sagen. Nicht nach dem, was sich die beiden nur wenige Wochen zuvor ausgemacht hatten.
Er war nun am Ende des Feldes. Nun ging es noch den Hang hinauf, wo ihn die weißen Wände um die Eingangstür begrüßen würden. Der Hang, ebenfalls voller Erinnerungen. Doch nicht diese waren es, die ihn zögern ließen. Es waren seine Erwartungen, seine Vorstellugen, seine Befürchtungen, die ihm zurückhielten, sich dem Haus zu nähern. Konnten sie wirklich noch wütend auf ihn sein? Immerhin würde nicht mehr jeder im Elternhaus wohnen, zumindest nicht mit Familie!
Es war so ruhig. Zu ruhig! Im Brief war von einer Familiensammlung die Rede gewesen, doch nun schien es, als ob das Haus verlassen wäre. Keine Kinderstimmen, die ihm von den Fenstern oder vom Garten entgegen kamen, keine Diskussionen der Erwachsenen, kein Hundebellen. Beinahe schien ihm sogar das ganze Dorf verlassen, bis ihm einfiel, welcher Tag heute war.
Chodnik atmete einmal tief durch, bevor er die Straße überquerte. Er ging am Rasen und den Blumenbeeten vor dem Haus vorbei, hin zur überdachten Eingangstür. So nah war er nun an der Rückkehr, und doch konnte er sich kaum überwinden, die Hand zu erheben. War das der Grund gewesen, weshalb Rynek ihm nicht geschrieben hatte? Weil er, ohne sich zu verabschieden, das Haus verlassen hatte? Ein letztes Mal atmete er noch durch, hob die Hand, und klopfte. Nun gab es kein Zurück mehr. Er musste sich der Realität stellen - und wenn sie das Urteil seiner Verwandten war. Plötzlich hörte er, wie das Schloss gedreht wurde, und die Tür ging auf - und mit ihr kam der Lärm von spielenden Kindern, diskutierenden Erwachsenen, und bellenden Hunden entgegen. Als er aufschaute, erblickte er direkt das Gesicht seines Bruders, und die grau-braunen Augen starrten verächtlich zurück, während seine Miene die zuvor angesammelte Freude verlor. „Ach, du bist es.”